Pilz des Monats Oktober 2021 – Ungarisches Seitenfüßchen (Pleuromyces hungaricus)
Als ich am 17. Oktober 2010 (also vor mehr als 10 Jahren) während einer Exkursion mit Klaus Mandery und Justus Vogt im Truppenübungsplatz von Ebern (Unterfranken nö. Schweinfurt, Naturraum Mainfränkische Platten, Laubmischwald mit Buchen über Muschelkalk) mit den genannten Herren zusammen einen mir vollkommen unbekannten, seitlich gestielten braunsporigen Lamellenpilz fand (der habituell fast an den weißsporigen Bitteren Zwerknäueling Panellus stypticus erinnerte), war ich zunächst ratlos, fühlte mich aber (entfernt) an eine in meiner Dissertation aufgeführte ebenfalls nicht vollständig geklärte Kollektion aus der Gattung Melanotus (die dort geführten Arten werden heute meist als seitlich gestielte Formen der Gattung Deconica betrachtet) oder an irgendein bräunliches Stummelfüßchen (Crepidotus) erinnert. Die mikroskopische Untersuchung (mehr weiter unten) ergab schon damals, dass die Proben nicht überein stimmten und auch bei den Stummelfüßchen oder in anderen möglichen Gattungen fand ich keine passende Art, und so blieb schließlich damals nur übrig, die Probe als unbestimmbar, als möglicherweise neu Art, abzulegen im Hinterkopf zu behalten und irgendwann weiter zu verfolgen.
Ungarisches Seitenfüßchen (Pleuromyces hungaricus) am 17. Oktober 2010 im Truppenübungsplatz bei Ebern (Bayern, Unterfranken) an berindetem, liegendem Stamm von Buche (Fagus sylvatica) in Laubmischwald über Muschelkalk, leg. Lothar Krieglsteiner (zusammen mit Justus Vogt und Klaus Mandery), det. Pablo Alvarado (anhand DNA-Analyse), Fotos Lothar Krieglsteiner (Bilder 1-6) sowie Justus Vogt (7. Bild) |
Im Frühjahr 2021 hatte ich etwas überraschend mehr Zeit als vorherzusehen war, weil wir aufgrund des Lockdowns (oder wie immer man das Berufsverbot für Kursgeber und andere sonst nennen möchte) keine Seminare geben konnten. Wie schon im Text zum Pilz des Monats Juni (Fumanellis Tellerling Rhodocybe fumanellii) erwähnt, sandte ich einige liegengebliebene unklare Proben (darunter die hier vorgestellte) nach Spanien zu Pablo Alvarado zur molekularen Analyse. Das für mich überraschende Ergebnis war: Pleuromyces hungaricus mit einer Übereinstimmung von 99,89 Prozent, was man als gesicherte Bestimmung werten kann. Gattung und Art waren erst 2018 beschrieben worden (vgl. Fungal Planet description sheets: 716ÂŒ784). Nun war auch klar, warum eine im Februar 2017 von meiner Frau Katharina durchgeführte Analyse (an der Universität Frankfurt im Rahmen eines Seminars im Zuge ihrer Ausbildung zum Fachberater für Mykologie) nicht zu einem Bestimmungsergebnis führen konnte – die Art war zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht beschrieben.
DNA-Baum der dargestellten Probe vom Februar 2017 (Katharina Krieglsteiner anlässlich eines Seminars an der Universität Frankfurt). Zum damaligen Zeitpunkt lagen noch keine übereinstimmenden Proben in den DNA-Datenbanken vor (sprich: die Art war noch unbeschrieben). |
Auch die Typus-Aufsammlung aus Ungarn stammt von einem dicken, liegenden Buchenstamm und erinnert stark an die Fundsituation in Ebern. Die in der Typus-Beschreibung abgebildeten Pilze wirken vielleicht etwas überständig aus und erinnern nur begrenzt an die hier gezeigten Fotos (vergleichen Sie selbst).
Auch die gegebenen mikroskopischen Daten differieren durchaus:
erste mikroskopische Dokumentation unmittelbar nach dem Fund (Skizze Lothar Krieglsteiner) zu: Ungarisches Seitenfüßchen (Pleuromyces hungaricus) am 17. Oktober 2010 im Truppenübungsplatz bei Ebern (Bayern, Unterfranken) an berindetem, liegendem Stamm von Buche (Fagus sylvatica) in Laubmischwald über Muschelkalk, leg. Lothar Krieglsteiner (zusammen mit Justus Vogt und Klaus Mandery), det. Pablo Alvarado (anhand DNA-Analyse). |
Die Form der Cheilozystiden stimmt gut überein, allerdings habe ich nicht völlig glatte, sondern fein geschummerte Sporen beobachtet (nur unbeholfen skizziert in einer damals schnell angefertigten Dokumentation, s.o.) und sie auch größer vermessen als es in der Originalbeschreibung geschrieben steht (7-9/4,5-5,5 gegenüber dort nur 6,5-7,5/4-5). Ich sollte darauf hin meinen Beleg noch einmal nachuntersuchen (was ich auf den Winter verschoben habe) und auch eine bessere, akkurate Zeichnung anfertigen (zumindest für den Fall einer Publikation in einer Zeitschrift), aber es sieht so aus, als ob die nun von 2 Funden bekannte Art variabler ist als es aus der Originalbeschreibung hervorgeht (was ja auch kein Wunder ist). Dranbleiben und Wiederfinden lautet die Devise!
Heute (27.4.22) habe ich den Fund endlich nachuntersucht. Die Zystiden hatte ich gut gezeichnet sie entsprechen auch gut der Darstellung in der Erstbeschreibung. Die Sporen sind im Gegensatz zu meiner Erst-Untersuchung doch wohl schön glatt - allerdings meine ich bei einigen Sporen eine gewisse sehr unregelmäßige Skulptur (eher nicht Ornamentation) zu erkennen, die Sporen erscheinen z.T. fast etwas eckig. Ihre Form ist sowieso recht variabel, teils fast rhombisch (wie auch in der Typus-Beschreibung), teils aber auch fast bohnenförmig. Ihre Größe maß ich diesmal kleiner, besser zur Typusbeschreibung passend, mit 6-7,5 (8,5)/4-5 (5,5) µm. Offensichtlich hatte ich damals einige besonders große Sporen überbewertet. Es schade nie, Funde später noch einmal - mit mehr Erfahrung dann - zu untersuchen :-)
Noch eine Anmerkung: zum Schluss machte ich noch einen Huthaut-Schnitt: ich fand braun inkrustierte, teilweise verzweigte und aufrecht stehende (wenn auch "verbackene" und nur auf Druck sich lösende) Zellen - eine Cutis würde ich sie nicht nennen Eine solche beschreiben jedoch die Erst-Autoren für P. hungaricus, während ihren Angaben nach der von ihnen nicht untersuchte Phaeomyces dubiosus E. Horak ("not available") eine "pileipellis with branching and erected terminal hyphae" aufweist, außerdem entfernt(er)e Lamellen. Vielleicht sind ja beide Taxa doch synonym - und die Huthaut (von der in der Originalbeschreibung keine Fotos gegeben werden) eben doch variabler, vielleicht auch altersabhängig "verkahlend". Man beantwortet eine Frage - und weitere tun sich auf. Möglicherweise ist Pleuromyces hungaricus "nur" ein Synonym von Phaeomyces dubiosus. Auf alle Fälle eine Besonderheit!